4.Kapitel
Morgens halb acht seinen ersten
Schultag zu beginnen sollte echt verboten werden, dachte sich Eliza und quälte
sich eine Stufe nach der anderen hinauf in ihren ersten Klassenraum. Wie
erwartet starrte sie wirklich jeder an, sowohl Schüler als auch Lehrer. In
einer Großstadt wär sie vermutlich einfach im Getümmel untergetaucht, doch
leider hatte Breakburns High-School gerade mal 200 Schüler.
Nachdem Eliza das Frühstück ihrer
Granma heruntergewürgt hatte ohne darüber nachzudenken was sie genau
verdrückte, hatte sie sich die nächste Bushaltestelle gesucht. Nur ohne Erfolg:
In Breaktown gab es keine Schulbusse, da sowieso alles zu Fuß erreichbar war.
Ein eindeutiges Zeichen für ein kleines Hinterwäldler Dorf.
Sogar auf dem Weg zur Schule starrten
sie Passanten an. Eliza befürchtete schon sie würde schlecht riechen oder gar
einen riesigen Pickel auf der Stirn haben. Dabei hatte sie doch erst frisch
geduscht. Außerdem wurde sie das Gefühl nicht los verfolgt zu werden. Was war
nur mit ihr los in letzter Zeit? Warum kamen ihr so paranoide Gedanken?
Ihr Direktor Mr. Stiller war ein
freundlicher alter Mann mit grauen Haaren. Er führte sie durch das zweistöckige
Gebäude, während der Rest der Schülerschaft in den Klassenzimmern saß. Eliza
gefiel die gemütliche Cafeteria und die große Schulbibliothek, die wohl
gleichzeitig von Studenten und anderen Bewohnern genutzt wurde. Allerdings
bekam sie jetzt schon Platzangst, wenn sie durch die schmalen Gänge spazierte.
Wie nur sollte sie die Pausen überleben?
Zum Schluss brachte ihr Direktor sie
in die neue Klasse, die sie für die nächste Zeit sicher noch öfter zu sehen
bekam, leider. Doch wenn sie Glück hatte fand sie jemanden, der ihr bei ihrem
Vorhaben behilflich sein konnte, damit sie so schnell wie möglich wieder nach
Boston konnte.
Gemeinsam mit Mr. Stiller betrat Eliza
den Raum in der Hoffnung, dass sich keine ihrer Befürchtungen bestätigte. In
Wirklichkeit war es allerdings noch schlimmer. Zwanzig Augenpaare fixierten sie,
inklusive die der leicht verwirrt aussehenden Lehrerin, die sich jedoch gleich
wieder daran erinnerte, dass ihr Vorgesetzter dort durch die Tür kam.
Während Eliza nun direkt vor der
gesamten Klasse stand und alles überblickte, stellte Mr. Stiller sie allen vor.
Dabei hörte sie weniger auf sein Gerede und konzentrierte sich mehr darauf
einen freien Platz im Raum zu finden möglichst weit entfernt von allen anderen,
die ihr größten Teils sehr merkwürdig vorkamen.
Sehr auffällig war das Mädchen in der
letzten Reihe, dass sie mit einem verabscheuungswürdigen Blick bedachte, unter
dem Eliza sich unwillkürlich zu winden begann. Sie schien eine Vorliebe für
alles Schwarze und unheimliche zu besitzen. Wahrscheinlich hielt sie sich
Spinnen und mit Sicherheit auch Eulen als Haustiere. Eliza war sich sicher ab
jetzt Abstand zu diesem Mädchen zu halten.
Weiter vorne bot sich ihr das genaue
Gegenteil: Eine ebenfalls Schwarzhaarige mit leuchtenden Augen und strahlendem
Gesicht. Für jemanden in einer so verkorksten Stadt schon fast zu fröhlich,
dachte sich Eliza. Das Mädchen schien sich sogar für die Neue zu interessieren,
während alle anderen gleichgültig oder misstrauisch waren. Doch war das jetzt
positiv oder eher negativ in Breakburn?
Die Frage konnte wohl keiner so genau
beantworten, der sich hier nicht auskannte. Eliza versuchte sich die meisten
Gesichter einzuprägen und ihnen fiktive Namen zu geben wie „schwarzer
Sonnenschein“, „Gothic-Girl“, „Barbie“
oder „Freaky Freddie“ (sie wusste nicht wirklich wie er hieß aber sie fand den
Namen irgendwie passend).
Mal abgesehen von ein, zwei Schülern
schien der Rest einer normalen High-School Klasse zu entsprechen: Da gab es die
Footballer, die Cheerleader, die Bücherfreaks, naja, und die „Normalos“. So wie
sie selbst einer war.
Nachdem der Direktor endlich am Ende
angelangt war, wünschte er Eliza viel Erfolg und „Spaß“ für die restliche Zeit,
die sie nun an dieser Schule verbringen würde. Natürlich hatte er keine Ahnung,
dass es sich nur um wenige Wochen handeln würde, wenn Eliza erst mal ihren Plan
ausgearbeitet hatte.
Die Lehrerin, Mrs Buckett war ihr
Name, teilte der Neuen einen Einzelplatz, so schien es zumindest, in der aller
letzten Reihe zu. Das einzige Problem war dabei der unendlich lange Gang an
allen Schülern vorbei. Eliza sah mehr Stolperfallen und Fettnäpfchen als ihr
lieb war. Vorsichtig und dabei bedacht so gut wie niemanden in die Augen zu
sehen, der sich dadurch vielleicht provoziert fühlen könnte, versuchte sie zu
ihrem Platz zu gelangen. Und ehrlich gesagt klappte, dass auch ganz gut. Sie
schien in dieser Klasse also nichts befürchten zu müssen. Bis jetzt zumindest
nicht.
Ihre erste Stunde war, wie sollte es
anders sein an so einem Tag, Mathe. Was genau hatten sich Pythagoras und Newton
eigentlich gedacht, als sie ihre Formeln aufstellten. Waren sie vielleicht
feindselige Menschenverächter und wollten alle in den Wahnsinn treiben? Bei
Eliza könnte das zu treffen und bei vielen anderen sicher auch.
Glücklicherweise wurde die monotone
Stimme von Mrs Buckett durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen, so dass alle
Schüler erleichtert aufatmeten. Eliza jedoch blieb gleichzeitig ihr Herz
stehen, was sicherlich nicht gesund war. Jemand mit einer umwerfenden Aura
betrat den Raum.
Er sah nicht besonders begeistert aus
als er kurz in ihre Richtung blickte. Oder hatte sich Eliza das bloß
eingebildet und er war allgemein schlecht gelaunt. Als Mrs Buckett ihn fragend
ansah schien er jedenfalls auf einmal wie ausgewechselt. Auch wenn sein
Verhalten etwas Ironisches an sich hatte.
„Einen wunderschönen guten Morgen Mrs
Buckett“ grinste er die Lehrerin an, diese strahlte Zufriedenheit aus und war
wohl geschmeichelt von seinen Worten.
„Es tut mir furchtbar leid wertvolle
Minuten ihres Unterrichts verpasst zu haben, nur leider wurde ich aufgehalten.“
Setzte er fort. Während man in der Klasse schon Gelächter hörte und Eliza das
Ganze nur albern vorkam, störte es Mrs Buckett anscheinend überhaupt nicht. Im
Gegenteil der Junge wusste genau, wie er sie überzeugen konnte. „Eine kleine
Katze brauchte meine Hilfe sonst wäre sie gestorben.“ Sein Blick setzte der
alten tierliebenden Dame wohl den Rest zu und sie seufzte nur und bat ihn sich
zu setzen.
Als er den Gang entlang ging, grinste
er selbstgefällig und klatschte unterwegs noch die Hand seines Kumpels ab,
vermutlich Footballspieler mit einer Vorliebe für große Autos.
Eliza sah ihm nicht in die Augen, aber
sie beobachtete aus den Augenwinkeln, dass er genau den freien Platz neben
ihrem ansteuerte. Ihr Herz klopfte und sie wurde nervös. Sie saß auf seinem
Platz! Na toll, was sollte sie jetzt machen? Sie konnte ihn schlecht die ganze
Zeit ignorieren. Vor allem bei seiner Präsenz und seinem Aussehen war das
unmöglich. Seine Haare waren schwarz (war das vielleicht eine Modemacke in
Breakburn?) und so gestylt, als hätte der Wind sie leicht durcheinander
gebracht. Seine Augen hatten eine tief blaue Farbe. Eliza wusste nicht, dass
Augen so eine Farbe annehmen konnten, deswegen war sie fest von einer
Lichtspiegelung ausgegangen. Doch jetzt kam er immer näher auf sie zu und sie
hatte keine Ahnung was sie jetzt tun sollte.
Schüchtern und mit einem winzigen
Lächeln auf den Lippen schaute sie ihn an, als er direkt vor ihr stand. Er
lächelte zurück. Zwar leicht ironisch, aber was solls, Eliza war erleichtert.
Sie nahm sich vor ihn ab jetzt nicht weiter zu beachten, das sollte die beste
Lösung sein. Doch er hatte anscheinend andere Pläne.
Mit zu ihr gewandten Oberkörper sagte
er: „Hey!“ Der Junge streckte ihr seine Hand entgegen. „Jonas“ meinte er. Mrs
Buckett war wieder vollständig in ihren Zahlen versunken.
„Eliza“ gab sie zurück und nahm seine Hand. Er
drückte sie und zog das daran hängende Mädchen plötzlich mit einem Ruck näher
an sich heran. Beinahe hätte Eliza vor Schreck aufgeschrien, aber sie hatte
sich noch unter Kontrolle. Sie spürte seinen Mund nah an ihrem Ohr und wusste
nicht was sie tun sollte. Sie spürte seinen Atem an ihrem Gesicht.
„Du bist neu hier nicht wahr?“ sie
konnte nur zustimmend nicken und hoffen das keiner von den anderen Anwesenden
etwas bemerkte. „Ich geb dir einen Tipp. Wenn du in dieser Stadt überleben willst,
halt dich fern von Freddie, Janes Bruder.“ Jonas lockerte den Griff um Elizas
Hand wieder und lehnte sich geheimnisvoll lächelnd zurück. Sie starrte ihn
fragend an, doch er musterte sie nur, diesmal ohne jegliche Ironie. Er schien
sich für sie zu interessieren.
Hatte sie mit ihrer Vermutung recht
gehabt? Meinte er wirklich „Freaky Freddie“?
Vielleicht wollte er der Neuen auch
nur Angst einjagen, um sie einzuschüchtern. Eliza hoffte, dass nichts von
alledem bewahrheitete
Und wer um alles in der Welt war Jane?
Eliza konnte sich das nicht erklären. In dieser Stadt schien es zu wimmeln von
schwarzhaarigen, selbstverliebten, gruseligen Verrückten. Hatte sie am Morgen
noch gehofft Freunde zu finden, war sie spätestens jetzt davon überzeugt es
sein zu lassen.
Die Pause war genauso wie Eliza es
sich vorgestellt hatte. In den Gängen bekam sie Bedrängungsängste, die sie
vorher nur für Einbildung gehalten hatte. 200 Schüler kamen aus den
Klassenräumen und drängten sich einer nach dem anderen an ihr vorbei.
High-School Schüler waren dabei nicht besonders vorsichtig.
Viele Schüler rempelten sie an, die
wenigsten entschuldigten sich. Sie hatte nichts andres erwartet. Die Gänge
waren unnormal eng und überall stand etwas im Weg. Plötzlich stieß sie jemand
mit voller Kraft von hinten an, so dass sie stolperte und mit ihrem Arm gegen
den nächsten Spind stieß. Sie fluchte und rieb sich am Oberarm. Davon würde sie
noch tagelang blaue Flecken haben.
Wütend machte sie den Idioten aus, der
solche Schmerzen beschert hatte.
Blöderweise sah sie dabei direkt in Jonas meerblaue Augen. Ihr stockte
der Atem und schon wieder schaffte Eliza es nicht einen Satz herauszubringen.
Mittlerweile musste er schon denken sie sei stumm oder einfach nur zu bescheuert
zum Reden.
„Hey“ und schon wieder dieses
unwiderstehliche Lächeln, mit dem er mit Sicherheit alle Mädchen rumkriegte.
„Tut mir echt furchtbar leid, die Jungs… ähm“ er zeigte auf die grinsenden und
besonders unschuldig drein blickenden Objekte hinter ihm. Schließlich sah er
wie sie sich immer noch an ihrem Arm rieb. Als sie seinen Blick auffing, nahm
sie die Hand weg.
„Das wird ziemlich blau werden.“
Meinte er nur. Eliza wusste nichts darauf zu erwidern, so entstand eine
unangenehme Pause zwischen ihnen, doch er wandte sich noch immer nicht zum
Gehen. Stattdessen lehnte er mit einem Arm an dem Spind, an dem sich Eliza
abstützte und sah auf sie herunter.
„Wie wärs“ schlug er vor „zur
Entschädigung lad ich dich zum Essen ein und zeig dir die Gegend?“
Sie sah ihn zweifelnd an. Mittlerweile
ertrug sie seinen Blick auf ihr und fand auch ihre Stimme wieder, so dass sie
klar denken konnte.
„Ich weiß nicht.“
„Ach komm schon! Ich kenn ein paar
interessante Gegenden hier, die dir sicher gefallen würden. Außerdem bin ich
sicherlich eine der besten Partien in dieser Stadt. Kannst du jeden fragen.“ Er
machte eine ausschweifende Handbewegung den Gang hinunter.
„Ja klar! Du scheinst mir nicht wie
jemand, der die neue Unbekannte einfach mal so zum Essen einlädt. Auch nicht
als Wiedergutmachung. Komm schon sag einfach, was du wirklich willst.“ Sie
hatte keine Lust seine Spielchen weiter mitzuspielen, das Ganze ging zu weit.
Es war ihr egal in welche Gegenden er sie locken wollte und was für Geschichten
er ihr erzählte. Es war ihr auch gleichgültig wie gut er aussah… Ok das war es
nicht wirklich. Aber sie kannte gerade mal seinen Namen und nachdem was sie in
dieser Stadt bisher erlebt hatte, wollte sie keinen weiteren Fehler begehen.
Immer noch liefen Schüler durch die Gänge und starrten das Paar an. Jonas
drängte sich weiter an Eliza und ihr wurde immer unwohler.
„Ich will nur nett zu dir sein und dir
helfen. In Breakburn überlebt niemand allein.“ Den letzten Satz flüsterte er
und für Eliza stand fest: Jonas gehörte ebenfalls zum Club der geisteskranken
Spinner. Eliza gab ein verächtliches Schnauben von sich und wollte sich gerade
von ihm abwenden, als er sie schmerzhaft am verletzten Arm festhielt.
Mit angsteinflößend ruhiger Stimme
sagte Jonas „ Du willst meine Hilfe nicht? Gut, aber glaub mir, dafür hast du
dir eine denkbar schlechte Zeit ausgesucht, Eliza Cutter.“
Mit einem Lächeln auf den Lippen gab
er ihr einen Kuss auf die Wange und so schnell wie er aufgetaucht war,
verschwand er plötzlich wieder. Eliza schaute ihm wie erstarrt hinterher,
während er in der Masse verschwand.
Sie hatte Jonas Hilfe verweigert.
Warum nur hatte sie das getan? Einen wie ihn wies man doch nicht einfach
zurück.
Erst als es klingelte und sich alle
wieder in ihren Unterricht begaben, löste sich ihre Starre, doch die
Verwirrtheit blieb.